Kulturkampf in Tirol und in den Nachbarländern

 

Unter diesem Titel stand die diesjährige Tagung des Tiroler Geschichtsvereins/Sektion Bozen, zu der am 9. November 2012 erfreulich viele Interessierte im Kolpinghaus in Bozen sich einfanden. Ausgesuchte Fachleute, wovon der Entfernteste Laurence Cole aus  Norwich von der Universität East Anglia (VEA) angereist war, berichteten und diskutierten einen vollen Tag lang über dieses Thema.

 

Beim Stichwort Kulturkampf denken vermutlich die Meisten an Otto von Bismarcks Ausspruch: „Nach Kanossa gehen wir nicht”. Dieses noch immer geflügelte Wort zeigt den Höhepunkt des deutschen Kulturkampfes an, der in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Auseinandersetzung zwischen der preußischen Staatsmacht und der katholischen Kirche prägte.

 

Josef Fontana hat in seiner Innsbrucker Dissertation „Kulturkampf in Tirol (1861-1892)” vor 30 Jahren zum ersten Mal ausführlich die Tiroler Variante des Kulturkampfes behandelt. Seine Studie, die kurz darauf in Buchform erschien, hat viel Zustimmung gefunden. Im Wesentlichen war man sich im Kulturkampf in Tirol in  zwei Fragen uneinig: In der Durchsetzung des Toleranzpatentes durch den Zentralstaat in Österreich, dem die konservative Mehrheit in Tirol den Widerstand für die Erhaltung der „Glaubenseinheit” entgegensetzte sowie in der Frage der Durchsetzung der staatlichen Schulaufsicht.

 

In der Zwischenzeit hat das Thema „Kulturkampf” im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ein neues Interesse vonseiten der Geschichtsforschung erfahren, das mit grundlegend neuen Erkenntnissen aufwarten konnte und eine Ausweitung des Phänomens „Kulturkampf” über den deutschsprachigen Raum brachte: Emanuel Buratta hat den Kulturkampf aus der deutschen Eingrenzung zu einem europäischen Thema erhoben; insbesondere konnte er auch in Italien einen Kulturkampf nachweisen, indem er aufzeigte, wie im Zuge der Einigung Italiens die kirchentreuen, katholisch gesinnten Kreise, die um das Papsttum und den Kirchenstaat besorgt waren, von den fortschrittlich liberalen Kräften, die in harten Auseinandersetzungen die Einigung Italiens durchgesetzt haben, zum Hindernis beim Einigungswerk gestempelt und unter dem Vorzeichen eines aggressiven Antikatholizismus ins Abseits gedrängt wurden.

 

Die Tagung wurde mit einer glänzenden übersicht über die Entwicklung der Ereignisse rund um den Kulturkampf in der Donaumonarchie von Laurence Cole, der inzwischen zum ordentlichen Professor für österreichische Geschichte an der Universität Salzburg ernannt worden ist, eröffnet. Er stellte die Frage in den Raum, ob die katholische Kirch gestärkt oder geschwächt aus der Auseinandersetzung hervorgegangen sei. Erika Kustatscher zeichnete in einer sublimen Studie nach, welche Ziele die Priesterausbildung  in Tirol des 19. Jahrhunderts verfolgte. Nina Kogler von der theologischen Fakultät der Uni Innsbruck erschloss in ihrem Vortrag „Die katholische Kirche im Kulturkampf” neue Einsichten über die Rolle der Kirche Tirols vor anderthalb Jahrhunderten.

 

Florian Huber, ein nachrückender Südtiroler Historiker, berichtete über Erscheinungen des Kulturkampfes  im Trentino, die von der  lokalen Geschichtswissenschaft bisher nicht zur Kenntnis genommen oder anders gedeutet worden sind. Carlo Romeo bot einen scharfsinnigen Einblick in die Politik der katholischen Kirche Italiens und des Vatikans zur Zeit der Einigung, wobei die Wende Papst Pius IX. vom Reformpolitiker zum Erhalter der alten Ordnung einen Schwerpunkt bildete. Mit seiner Kehrtwende führte der Papst die Katholiken Italiens in eine Randlage. An ausgewählten Stellen aus Aleßandro Manzoni’s Roman I promessi Sposi gelang es ihm weiters die gesellschaftspolitische Gedankenwelt des Risorgimento offen zu legen. Hans Heiß befasste sich mit der Rolle der Bürger im Kulturkampf und konnte auch im Bürgertum der Tiroler Kleinstädte reges politisches Interesse und Mitwirken an der Auseinandersetzung nachweisen.

 

Die Eingangs von Laurence Cole erhobene Frage, ob die katholische Kirche geschwächt aus dieser zum Teil sehr heftig geführten Auseinandersetzung hervor gegangen sei, wurde zumindest von Laurence Cole und Erika Kustatscher negativ beantwortet. Die Kirche, besonders die Spitze, habe zwar scharfe Kritik einstecken müssen, sie ist aber auch  dank ihrer engen Verbindung mit dem Volk  gestärkt hervorgegangen, während die Liberalen besonders wegen ihrer gesellschaftlich und bildungsmäßig abgehobenen Stellung am Ende politisch geschwächt dastanden.

 

Laurence Cole Florian Huber

Erika Kustatscher

Hans Heiß

Nina Kogler Carlo Romeo